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05.09. bis 24.10.2014

Volker Hermes
Humboldt-Hybride

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Fotos: Matthias Schwarze

Worte wandeln ihre Bedeutung, Worte wandeln ihren Wert. Noch bis vor 20 Jahren war der Hybrid etwas Negatives, etwas Unentschiedenes, ein falsches, unreines Mischwesen. Heute ist „hybrid“ fast schon ein Modewort. Die Automobilindustrie hat sich des Begriffes bemächtigt und ihre modernen Mischantriebkonzepte „Hybriden“ genannt. Hybride Software ist einfacher Software überlegen, weil sie auf mehreren Betriebssystemen gleichzeitig laufen kann, an den Finanzmärkten gibt es Hybridanleihen, und dass eine Hybridkamera, was auch immer das ist, besser als eine einfache Kamera ist, ergibt sich aus dem Namen. Das Fortschrittliche, Moderne, Gute ist heute „hybrid“, und wer auf ein komplexes Problem mit einer „hybriden Lösungstrategie“ antworten kann, darf auf Zustimmung hoffen. Dieser Wandel in der Konnotation des Wortes ist durchgreifend und kann nicht aus den Marketingabteilungen allein bewirkt sein, er muss der Zeit geschuldet sein.

Volker Hermes' aktuelle Serie der Humboldt-Hybride zeigt Mischwesen aus Biologie und Mathematik, Polyeder-Körper mit Insektenbeinen, Tierkörper mit Polyeder-Köpfen, usw. Das ist die augenfällige Ebene des Hybriden in den Arbeiten. Sie fügen visuell zusammen, was nicht zusammengehört, organische Form, geschöpft aus einem Jahrmillionen währenden Prozess der Reproduktion und Mutation, mit der reduzierten Idee der mathematischen Form. Technisch fügt Hermes die zeichnerische Härte und Dynamik schwarzer Edding-Marker für die Tierkörper mit einer malerisch lasurartigen Farbigkeit seiner Polyeder-Flächen zusammen. Aus der entstehenden Eigenartigkeit schöpft er eine Spannung, und daraus eine Kraft.

Auf einer abstrakteren Ebene ist die Serie ein Hybrid aus Wissenschaft und freier Kunst. Hermes Polyeder sind sorgfältig gearbeitet, ihre Form ist mathematisch korrekt und formal präzise. Die aufgefalteten Außenwände der vieleckigen Körper, die in einigen der Arbeiten vorkommen, entstammen nicht der Fantasie, sie funktionieren als Baupläne und lassen sich zu mathematisch sinnvollen Körpern falten. Dies ist keineswegs selbstverständlich oder ergibt sich bei Zeichnen quasi von selbst. Es bedarf vielmehr einer erheblichen mathematischen Sorgfalt. Ich erinnere mich an einen Besuch im Atelier von Volker Hermes in den Anfängen der Serie – und auf seinem Schreibtisch lagen mehrere Geometriebücher und viele kleine Polyeder-Modelle, aufgeklappt, wie auch zum geschlossenen Körper gefaltet, manche verklebt, andere zum Auf- und Zuklappen. Geometrisch sind seine Polyeder präzise. Und doch folgt diese Präzision keiner äußeren Notwendigkeit, die Mühe des mathematischen Erschließens dient keinem erkennbaren Zweck oder Ziel, keiner Nützlichkeit. Jedenfalls keiner, die außerhalb der Kunst selbst liegt. Äußere Zweckbefreiung bei gleichzeitiger gedanklicher Stringenz und innerer Notwendigkeit als Kraft- und Wirkungsfeld freier Kunst.

Auf einer dritten Ebene sind Hermes Arbeiten Hybride aus freier Kunst und angewandter Kunst. Ihre ästhetischen Anleihen nehmen sich die Arbeiten aus der Tradition der frühen naturwissenschaftlichen Zeichnung. Keine Expedition Humboldts ohne Begleitung durch Zeichner und Maler, die das Entdeckte, das neu Gesichtete und Gesehene festhalten sollten. Dabei kam es – das versteht sich – auf Korrektheit in der Darstellung an. Aber da jede Expedition schließlich auch finanziert werden musste, und die reine Erkenntnis, so es sie denn überhaupt gibt, wenig Wirkung zu erzielen pflegt, transportierten die Bilder ebenso die Faszination für das Endeckte, die Gefahren der Reise, den Schrecken des Fremden. Dies gilt übrigens auch heute noch, wo die Fotografie die Rolle der visuellen Dokumentation übernommen hat. Aufnahmen von Forschungsprojekten aus den Tiefen der Ozeane oder solche vom Rande des Universums und den Anfängen der Zeit dienen jeweils mindestens ebenso der Dokumentation wie der Faszination. Aber auch die formale Ästhetik des polizeilichen Tatortfotos, mit ihrer eigenen Mischung aus lieblosen Stilleben der Spurenlage und drapierten Nummernkärtchen weiß zu gleichen Teilen die objektive Spurenlage und den wohligen Schauer des Erschreckens zu transportieren, der seine Wirkung weder beim Publikum noch auf der Richterbank verfehlen soll. Dürers berühmtes Rhinoceros steht immer ein wenig Pate im Genre der visuellen Dokumentation. Die Macht der Bilder heißt das in der Politik.

Dieser Macht bedient sich Hermes, wenn er Anleihen bei der Wissenschaftszeichnung nimmt. Am augenfälligsten ist dies in den Fotoarbeiten der Animalis Polyedae-Serie, die tatsächlich auf historischen Naturkundebüchern basieren. Aber auch in den Malereien, in denen seine Hybride wie in Schaukästen aufgereiht abgebildet sind, oder in denen Einzelhybride in charakteristischer Bewegung vor neutralem Hintergund festgehalten werden, ist die Bezugnahme unverkennbar.

Die Welt der Humboldt-Hybride ist eine freie Erfindung. Der Maler ist Erfinder. Er mag Anleihen bei der Wirklichkeit machen, reale Gegenstände nutzen. Aber indem er sie ihrem Umfeld entnimmt und in seinen Bildern zu Neuem verarbeitet, schöpft er Wirklichkeit. Dies ist der Schlüssel zum Hermes´schen Malereiverständnis. Und es ist – ein gutes Stück – auch seine Hommage an Dieter Krieg, seinen Lehrer aus Düsseldorfer Studienzeiten. „Ich grüble nicht über den Stoff, sondern erfahre ihn durch das Malen. Ich versuche vielmehr, parallel zu dem, was ich in der Wirklichkeit sehe, Bildgegenstände zu erfinden.“, heißt es bei Dieter Krieg1. Der Maler als Weltenerfinder.

Die Mathematik schöpft ihre Kraft aus formaler Stenge, die logische Schlüssigkeit ermöglicht. Geometrische Formen sind gedachte Ideale, die es nicht gibt, aber – so die Überzeugung – denkgesetzlich möglich sind sie. Die Wissenschaftszeichnung schöpft ihre Kraft aus formaler Strenge, die Objektivität verspricht. Mag die Darstellung auch fantastisch sein, das Dargestellte gibt es. So entsteht enorme Wirkungsmacht. Es ist diese Macht, die sich Volker Hermes leiht für seine hybriden Wesen, für eine durch und durch erfundene Welt, für die freie Kunst.

Das lateinische Wort hybrida bedeutet Bastard, den nicht standesgemäßen Nachkommen aus einer adeligen Liaison mit dem einfachen Volk. In der griechischen Mythologie waren die Bastarde der Götter mit den Menschen die stärksten überhaupt: Herkules, der Kraftprotz, Achilles, der beinahe unverwundbare, Aeneas, der Gründer Roms. hybrida ist ein eigenartiges lateinisches Wort. Seine Etymologie ist nicht gänzlich geklärt. Vermutlich geht es auf das altgriechische ὕβρις zurück. Wir kennen das Wort als „Hybris“, den Hochmut, die Überheblichkeit. Im Griechisch des Homer war seine Wertigkeit noch eine andere, neutralere: ὕβρις bedeutete schlicht „Macht, Kraft“2. Die Erhebung des Hybriden aus der sprachlichen Paria des Bastardentums ist also eine Rückkehr zu seinen Wurzeln.


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1 Dirk Teuber, Dieter Krieg (II), Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 91, Heft 18, S. 4, ZEIT Kunstverlag, 2010

2 Alexander S. Nikolaev, Die Etymologie von altgriechischem ὕβρις, Glotta LXXX, 211-230, Vandenhoeck & Rupprecht, 2005



Eröffnung: 05.09.2014 19:00 Uhr - Volker Hermes ist anwesend.

Finissage: 24.10.2014 19:00 Uhr